An sich wollte ich nur kurz in aktuellen Entscheidungen zu  Fragen der Zulassung der Berufung gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil nachschlagen.

Dabei habe ich u. a. den nachfolgend zitierten Beschluss des OVG NRW vom 16.11.2010 gefunden, der nicht zuletzt einmal mehr sehr deutlich zeigt, wie Verbraucher in Deutschland von einigen Vertretern der Lebensmittelindustrie getäuscht (und das ist noch beschönigend ausgedrückt…) werden oder werden sollen.

Zum Glück sind da manchmal – nur leider wohl viel zu selten – die Gerichte vor.

Ich zitiere und kommentiere (wer Sarkasmus findet, darf ihn behalten) – Hervorhebungen stammen von mir, Links habe ich ebenfalls ergänzt:

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils im Wesentlichen ausgeführt: Das Inverkehrbringen des in Belgien hergestellten und von der Klägerin vertriebenen Produkts unter der Kennzeichnung „D. E. M., T. D1., N. D2., Vorderschinken-Erzeugnis aus Vorderschinkenfleisch geformt, teilweise zerkleinert, grob entfettet, ohne Schwarte, gepökelt, gekocht, nach italienischer Art…“

Das klingt zunächst einmal noch recht lecker (wenn man Fleisch – oder vielmehr: Fleischnebenprodukte mag…).

…stelle einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot dar, weil die Angaben zur Täuschung der Verbraucher geeignet seien. Nach den Leitsätzen für Fleisch- und Fleischerzeugnisse des Deutschen Lebensmittelbuchs werde die Bezeichnung „Schinken“ auch in Wortverbindungen nur für Kochpökelwaren von gehobener Qualität verwendet. Den nach den Leitsätzen vorgegebenen Mindestgehalt für den Gehalt an Fleischeiweiß im fettfreien Anteil von 19 % unterschreite das Produkt der Klägerin deutlich. Ausweislich der von der Klägerin in Auftrag gegebenen Gutachten liege der Fleischeiweißanteil lediglich bei 13,6 % oder 13,4 %. Im Übrigen habe die Klägerin selbst eingeräumt, dass das von ihr vertriebene Produkt keine Schinkenqualität aufweise und es sich um ein von Schinken oder Formfleischschinken zu unterscheidendes lebensmittelrechtliches Aliud handele.“

Aha. Nur mal zum Verständnis: „Aliud“ (= lat. „etwas Anderes„), d. h. da tischt uns jemand ein „Vorderschinken-Erzeugnis“ auf, das was-auch-immer-ist, jedenalls keine Schinkenqualität aufweist und auch sonst etwas Anderes als Schinken oder Formfleischschinken ist – na lecker…

Das in Rede stehende Produkt genüge auch nicht den Vorgaben der Codex-Alimentarius-Kommission, einer Einrichtung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, weil es das danach erforderliche absolute Minimum an Fleischprotein auf fettfreier Basis von 16 % nicht erreiche.“

Demnach muss Fleisch im fettfreien Teil aus mindestens 16 % Fleischprotein bestehen – na immerhin…

[…]. Durch den verwandten Begriff „Vorderschinken-Erzeugnis“ werde in Deutschland ein Produkt beschrieben, das den qualitativen Anforderungen der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs für Schinken entspreche. Das sei aber hinsichtlich des Produkts der Klägerin nicht der Fall, sodass auch nach Gemeinschaftsrecht eine Irreführung vorliege. Die Zulässigkeit des Inverkehrbringens ergebe sich zudem weder aus dem Zusatz “ … nach italienischer Art“ noch aus dem Umstand, dass das Produkt in Belgien hergestellt…“

Ein Hoch auf die Globalisierung…

…worden sei. Nach gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften sei die Verwendung der Verkehrsbezeichnung, unter der das Erzeugnis im Herstellungsmitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und vermarktet werde, auch im Vermarktungsstaat zulässig. Das Erzeugnis der Klägerin werde aber weder in Italien hergestellt noch im Herstellungsmitgliedstaat Belgien vermarktet.“

…mit der man es hier wohl etwas übertrieben hat.

Im Übrigen dürften auch in diesen Mitgliedstaaten Produkte, wie das von der Klägerin vertriebene, nicht mit der Bezeichnung „Schinken“ in den Verkehr gebracht werden.“

Das ist natürlich zu begrüßen, sollte aber auch selbstverständlich sein.

[…]. In den Leitsätzen unter 2. ist aufgeführt, was „Fleischerzeugnisse“ sind und wie sich die Bezeichnung „-Erzeugnis“ auf den Bestandteil der Warenbezeichnung „Fleisch“ oder wie hier „Schinken“ auswirkt. So ergibt sich aus Leitsatz 2.19, dass der Verkehrsbezeichnung von Formfleischerzeugnissen zur Vermeidung einer Verwechslung mit vergleichbaren Erzeugnissen aus gewachsenem Fleisch (wie Schinken) das Wort „Formfleisch-“ voranzustellen ist. Im Leitsatz 2.341 ist für Schinken als besonderes Beurteilungsmerkmal festgelegt, dass die Bezeichnung „Schinken“ auch in Wortverbindungen nur für Kochpökelwaren gehobener Qualität verwendet wird. Gemäß Leitsatz 2.341.2 wird Schinken aus der Vorderextremität als Vorderschinken bezeichnet. Nach Leitsatz 2.341.6 können Muskeln und Muskelgruppen, die aus dem Zusammenhang gelöst worden sind und auch isoliert als Schinken verkehrsfähig wären, ohne besonderen Hinweis zu größeren Schinken zusammengefügt sein.

Hm: Also gibt es auch Press-/Formfleisch, das nicht als solches kenntlich gemacht sein muss, wenn die Einzelteile nur groß genug waren? Gut zu wissen…

In Absatz 2 dieses Leitsatzes heißt es, dass Erzeugnisse, die ganz oder teilweise aus kleineren als den in Absatz 1 genannten Muskelstücken oder Formfleisch hergestellt sind, in Verbindung mit der Verkehrsbezeichnung ausreichend kenntlich zu machen sind (z. B. Formfleisch-Schinken aus Schinkenteilen zusammengefügt).“

Ob mich das jetzt wirklich beruhigt, weiß ich auch nicht…

[…]. Dem kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Beschreibung ihres Produkts den Anforderungen der Richtlinie 2000/13/EG entspreche, weil darin darauf hingewiesen werde, dass es sich um ein Erzeugnis „aus Vorderschinkenfleisch geformt“ und nicht um ein gewachsenes Stück handele. Denn der auf der Verpackung aufgedruckte Begriff „Vorderschinken-Erzeugnis„, der ein Erzeugnis von gehobener Qualität erwarten lässt, tritt viel eher ins Blickfeld des Käufers als die im Druckbild abgesetzten und in etwa halb so großer Schrift auf minderwertiges Formfleisch hinweisenden Angaben. Schon deswegen vermögen – wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat – diese Hinweise, unabhängig von ihrem Aussagegehalt, die Gefahr der Irreführung des Verbrauchers nicht zu beseitigen.“

Also sollte auch und gerade das „Kleingedruckte“ auf Lebensmittelverpackungen besonders sorgfältig gelesen werden. Wobei sich die Frage stellt, ob der durchschnittliche Verbraucher die dort zu findenden Begriffe richtig einzuordnen weiß. Wahrscheinlich eher nicht, denn das soll er auch gar nicht, ansonsten kaufte den Müll am Ende keiner mehr…

[…]. Dem deutschen Käufer ist es durch die Verwendung der Bezeichnung „Vorderschinken-Erzeugnis“ aber nicht möglich, die Art des Lebensmittels zu erkennen.“

Was er im Idealfall auch gar nicht soll – jedenfalls nach dem Willen der Hersteller. Und das „Verbraucherschutzministerium“ scheint auch nicht sonderlich daran interessiert…

Denn er kann daraus nicht entnehmen, ob es sich um Vorderschinken, also ein aus der Vorderextremität entnommenes gewachsenes oder wenigstens aus größeren Vorderschinkenteilen zusammengefügtes Schinkenstück, oder lediglich um minderen Formfleischschinken handelt.“

So sieht das aus – wobei sich abschließend die Frage stellt, ob das den Verbraucher überhaupt interessiert (was ich mir wünschen würde) oder ob er seine Lebensmittel ohnehin nur getreu der Maxime „hauptsache billig“ einkauft oder einkaufen muss.

Leider beleuchtet der Beschluss nur einen von schier zahllosen Fällen, in denen der Verbraucher von der Lebensmitelindustrie vorsätzlich getäuscht werden soll. Das wird nicht zuletzt von einem Bundesministerium jedenfalls zugelassen (wenn nicht gefördert), das den „Verbraucherschutz“ zwar im Namen führt, darüber hinaus aber nicht ernsthaft erkennen lässt, wie Verbraucher in Deutschland tatsächlich vor derartigen Machenschaften geschützt werden sollen.

Mehr zum „legalen Betrug“ mit Lebensmitteln (sic! – die man zum Teil kaum mehr guten Gewissens als solche bezeichnen kann): Bode, Thilo: Die Essensfälscher: Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen, Frankfurt (S. Fischer) 2010 (ISBN-13: 978-3100043085)

Quellen: